16 Mai 2013

Verstand, Identifikation und Leiden

Diesen Artikel von Rolf Stangenberg möchte ich unbedingt weitergeben, denn er teilt ganz meine Ansicht.

Die meiste Energie verschwendet unser Verstand mit sinnlosem Denken, Grübeln und Zweifeln, das heißt mit der Beschäftigung mit Vergangenheit und Zukunft. Wenn wir uns mit diesem denkenden Teil unseres Verstandes identifizieren, machen wir uns von ihm abhängig und er bestimmt unser Verhalten. Wenn wir unserem Verstand jedoch nicht länger Macht über uns geben und uns nicht mehr mit ihm und seinen illusionären Inhalten identifizieren, stellt sich das Glück von ganz alleine ein.

Unser Verstand, in dem alles abgespeichert ist, was wir je in unserem Leben wahrgenommen und erfahren haben, sollte als der Teil in uns dienen, der uns hilft, unser Leben leichter und müheloser zu gestalten. Hierzu ein Beispiel: Wenn wir einen Nagel in die Wand schlagen wollen, so kann der Verstand uns aus seinem Speicherreservoir die nötigen Informationen in unser Bewusstsein bringen, die uns mitteilen, wo wir Hammer und Nagel finden und wie wir unseren Körper zu bewegen haben, damit wir den Nagel richtig treffen etc. Ich spreche hier im Augenblick von unserem arbeitenden Verstand, der uns unterstützt und in unserem täglichen Handeln dient. 
Die meiste Energie verschwendet unser Verstand jedoch mit sinnlosem Denken, Grübeln und Zweifeln, das heißt mit der Beschäftigung mit Vergangenheit und Zukunft. Wenn wir uns mit diesem denkenden Teil unseres Verstandes identifizieren, also mit unseren Gedanken, Gefühlen und dazugehörigen Erfahrungen, machen wir uns von ihm abhängig und er bestimmt unser Verhalten. Wir sind so nicht länger Nutznießer unseres Verstandes, sondern werden zu seinem Sklaven. Dann gebrauchen nicht mehr wir unseren Verstand, sondern unser Verstand gebraucht uns. Gedanken wie: "Ich bin wertlos, ich werde abgelehnt, ich schaffe es nicht" usw. werden dadurch zu unverrückbaren Tatsachen. Wir haben immer Recht, egal wovon wir überzeugt sind, nicht wahr? Es geht uns gewissermaßen so in Fleisch und Blut über, dass wir gar nicht mehr merken, dass wir nicht unsere Gedanken, Gefühle, ja sogar unsere Erfahrungen und Vergangenheit sind. All dies sind lediglich vergängliche Formen, die kommen und gehen. Die Wahrheit, die per Definition unvergänglich, unabhängig, unveränderbar und unbegrenzt sein muss (denn sonst wäre sie nicht die Wahrheit), hat nichts mit jedweder Form zu tun. Man könnte sagen: alle Formen sind lediglich Ausdruck des Lebens, nicht aber das Leben selbst. Wenn wir also den Fehler machen - wenn uns sozusagen die Bewusstheit fehlt - zu erkennen, dass wir weder dies noch das noch ein Teil davon sind, erschaffen wir uns Dramen in unserem Leben. Buddha lehrte: "Alles Leiden ist die Folge von Identifikation mit Illusionen." Jedes besitzanzeigende Fürwort (meine Überzeugung, meine Arbeit, mein Haus, meine Frau, meine Sorgen ...) weist uns auf diese Identifikation hin. Und was, meinen Sie, passiert, wenn man Ihre Überzeugungen, Ihre Arbeit, Ihre Frau, ja sogar Ihre Sorgen angreift? Sie werden Ihren "Besitz" verteidigen, weil Sie denken, Sie wären Ihr Besitz. Und Sie müssen sich doch verteidigen, oder? Und schon befinden Sie sich in einem Zustand von Drama. Sie fühlen sich angegriffen, obwohl gar nicht Sie, sondern nur Ihr Besitz angegriffen wird. Und Ihr Besitz existiert allein in Ihren Vorstellungen, die durch Ihren Verstand erschaffen wurden. Alles, was wir zu besitzen glauben, wird uns früher oder später genommen werden, denn es handelt sich immer um Vergängliches, nicht um Wesentliches – eben um Illusionen! Warum nun halten wir am Besitz fest? Weil wir an den illusionären Überzeugungen festhalten, dass wir z.B. nur glücklich, frei, in Frieden und Harmonie wären, wenn wir dieses oder jenes besitzen würden. Wie viele Männer mögen denken: "Wenn ich doch nur einen Ferrari hätte, dann würden mir die Frauen hinterherlaufen und dann wäre ich glücklich?" Frauen denken vielleicht: "Wenn ich nur einen anderen Busen hätte ..." usw. Illusionen über Illusionen, die, von uns festgehalten, immer neues Leid - Buddha würde sagen: neues Karma - erschaffen.

Sai Baba erzählte einmal die Geschichte eines Affen, der am Strand saß und in einer Flasche eine Menge Nüsse sah, die er unbedingt haben wollte. So griff er in die Flasche, aber als er nun seine mit Nüssen gefüllte Hand herausziehen wollte, war diese zu groß geworden und konnte den Flaschenhals nicht mehr passieren. Verzweifelt, tränenüberströmt kämpfte er nun stundenlang darum, diese Nüsse doch noch irgendwie zu bekommen. Natürlich gelang es ihm nicht. Aber der Affe hätte ja nur seine Hände zu öffnen brauchen, und schon wäre er frei gewesen. Außerdem hatte er in seinem Wahn die viel erleseneren Nüsse, die direkt neben ihm lagen, völlig übersehen. So ergeht es auch uns immer wieder, wenn wir unbedingt etwas besitzen oder haben wollen.

Erst wenn wir diese unbewussten Mechanismen erkennen, werden wir erreichen, was wir uns im Tiefsten immer gewünscht haben, doch durch unsere Versklavung dem Verstand gegenüber unfähig waren zu sehen. Denn genau genommen war es immer da. Wie heißt es so schön: Wir können nicht glücklich werden, wir können nur glücklich sein. Wir können nicht reich werden, wir können nur reich sein. Ein Mann sagte einmal zu seiner Frau: "Irgendwann werden wir reich sein, dann beziehen wir ein schönes Haus und werden glücklich sein." Darauf erwiderte sie: "Mein Lieber, wir sind schon reich, denn wir haben einander, vielleicht haben wir irgendwann ein Haus." Wenn wir unserem Verstand nicht länger die Macht über uns geben und uns nicht länger mit ihm und seinen illusionären Inhalten identifizieren, stellt sich das Glück, die Liebe, die Harmonie, ja sogar der Reichtum von ganz alleine ein. Dies ist ein Mysterium, und wenn Sie aus diesem Wissen leben, hat das Leiden ein Ende.

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